Bericht der Partnerin eines CML-Patienten über die Stamzellentransplantation
Die CML Diagnose von Steffi brach anlässlich einer notfallärztlichen Untersuchung im November 02 wie eine Naturkatastrophe über uns herein. Wer es durchgemacht hat, kennt das Gefühl: Du hast die Diagnose schwarz auf weiss und weißt, nach dem ersten Schock, dass nichts mehr so sein wird wie vorher. Ich war zuhause und hatte mit bangen Gefühlen auf seinen Anruf gewartet. Dann fuhr ich heulend wie ein Schlosshund im Regionalzug nach Basel ins Kantonsspital, ohne genau fassen zu können, was das Alles wohl bedeuten würde. Nur eins war klar: Steffis Leben war in Gefahr. Sowohl akut wie auf der mittelfristigen Zeitachse stand da plötzlich Gevatter Tod am Wegrand und grinste uns schamlos an.
Nachdem seine extremen Blutwerte dank ‚Blutwäsche‘ und starken Medikamenten einigermassen unter Kontrolle waren, konnte er sechs Tage später wieder nachhause. Wir wohnten damals noch nicht zusammen und ich versuchte, soviel wie möglich in seinem holzbeheizten Haus im hinteren Homburgertal zu sein und ihm das Leben zu erleichtern. Wir waren mitten in der heissen Schlussphase eines Gesamtumbaus unseres neu erworbenen gemeinsamen Hauses in Sissach und Steffi hatte die Bauleitung und arbeitete sehr viel mit. Dank dem Umstand, dass viele der dort beschäftigten Handwerker auch mit uns befreundet waren, schafften wir es mit vereinten Kräften, den Umbau trotz seiner Krankheit zu Ende zu bringen und ich konnte im Frühling 03 einziehen. Endlich ein bequemes Zuhause, Zentralheizung, Schlafzimmer und Bad in nächster Nähe – alles Dinge, denen man erst Beachtung schenkt, wenn man krank ist und die Kräfte reduziert sind!
Glivec von Novartis, das Mistelpräparat der antrhoposofischen Medizin "Iscador" und weitere Medikamente halfen im Laufe des Jahres, Steffis Zustand weitgehend zu stabilisieren. Von Anfang an hatte er den ärzten im Kantonsspital signalisiert, dass eine Transplantation für ihn überhaupt nicht in Frage komme. Zuviel wurde über das grosse Risiko dieses Eingriffs und die hohe Sterblichkeit geredet. Doch die Hoffnung auf das Wundermittel Glivec zerschlug sich zunehmend, als die regelmässigen Knochenmarkspunktionen zeigten, dass keinerlei gesunde Zellen anzutreffen waren. Die erhoffte Gesundung, die bei gutem Ansprechen nach etwa dreiviertel Jahren erkennbar sein sollte, geschah nicht. Zu spät war wohl die Diagnose erst gestellt worden, zu fortgeschritten die Krankheit. Der Begriff "late chronical phase, intermediate risk" hiess für uns, dass es jederzeit abwärts gehen konnte. Dies war schwer zu glauben, denn im Gegensatz zum ganzen Jahr vor der Diagnose, wo Steffi gesundheitlich immer schwächer geworden war und keiner herausfand, warum, war er jetzt wieder rasch zu Kräften gekommen. Er kehrte auch langsam wieder zur Arbeit zurück, was nicht so einfach war, da er es als Ofenbauer mit schwerer körperlicher Arbeit zu tun hat. Nun, das Thema Transplantation war nicht mehr zu verdrängen, da die ärztInnen im Kantonsspital es mit Beharrlichkeit immer wieder auf den Tisch brachten. Als erstes wurden Steffis beide Geschwister, die in Canada leben, getestet: beide erwiesen sich als nicht kompatibel. Nun gab es eine Besprechung zu der Frage, ob Steffi mit einer Fremdspendersuche einverstanden sein würde. Wir taten uns schwer, überlegten hin und her. Die Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu finden, ja nicht unbedingt gross sei, liess ihn dann zögernd einwilligen und seine Unterschrift setzen. Alle Möglichkeiten der Behandlung sollten auf dem Tisch liegen, und die Zeit drängte, da immer der drohende Absturz als Perspektive winkte. Eine Transplantation mache nur dann Sinn und habe Aussicht auf Erfolg, wenn der Patient noch in stabilem gesundheitlichem Zustand sei, wurde uns gesagt.
Nun, die Spendersuche nahm ihren Lauf und wir verdrängten die Frage immer wieder, freuten uns am Leben und hatten unbewusste die Hoffnung, dass nie ein Spender gefunden würde und diese überfordernde Entscheidung nie getroffen werden müsste.
Gross war dann der Schock, als der behandelnde Arzt mitten in unsern Ferien im Tessin aufs Handy anrief. Steffi hatte gerade eine Rolle Dachpappe von einigem Gewicht geschultert und wir traten unser "Arbeitslager" auf der Alp im Verzaskatal an. Es war eine absurde Situation, mitten im Kastanienwald zu hören, dass zwei Spender gefunden worden seien und er sobald als möglich zur Konsultation ins Spital kommen solle. Die Ruhe war dahin, und wir verbrachten drei nervöse Tage auf der Alp, wo wir bis in die Nacht hinein alles beredeten und doch immer wieder am selben Punkt landeten. Man fühlt sich wie vor dem Tunneleingang, hinten kommen schon die nächsten, du starrst in das schwarze Loch, links und rechts istzwar der helle Tag, aber es gibt doch kein Entrinnen mehr, Du musst da durch und kannst nicht mehr ausweichen.
Nun kam das, wovor wir uns so fürchteten: JA oder NEIN. Steffi wand sich, wälzte sich nachts unruhig hin und her und musste sich nun ein zweites Mal der Tatsache stellen, dass er eventuell nicht mehr lange leben würde. Das komischste Argument des Arztes, er wolle doch noch AHV beziehen, nachdem er nun schon Einiges einbezahlt habe, zog natürlich zuwenig. Ich als seine Partnerin nahm panikartig einen erneuten Anlauf und machte mich kundig über spirituelle Heilungsmöglichkeiten. Eine Bekannte erzählte mir von einem Arzt und Heiler, der aus England regelmässig in die Schweiz komme und ihre Freundin von Brustkrebs geheilt habe. Ich überzeugte Steffi davon, nichts unversucht zu lassen und an seinem Geburtstag im Herbst gingen wir zum Vorgespräch ins Bernbiet, die nächste Woche dann kam es zum ersten direkten Kontakt. Ich betete und hoffte, dass Steffi um diesen Eingriff herumkommen würde. Er ging auch noch ein zweites Mal in die Heilbehandlung und meine Kerzen brannten Tag und Nacht. Wir forcierten sogar noch eine Punktion, um den allfälligen Heilerfolg schwarz auf weiss zu beweisen. Aber der Tunnel stand da, und die Zeit tickte laut in unsern Ohren. Der Glaube an Wunder stand ebenbürtig zu den technischen Möglichkeiten der Spitzenmedizin und beides gab Dir keine Garantie!
Steffi sagte nach Monaten des Zweifels und dem zusätzlichen Einholen einer wertvollen ärztlichen Zweitmeinung in Zürich schlussendlich JA zur Transplantation. Nun kam die Angst vor dem eigenen Mut und das Problem des Termins. Dreimal wurde der Eintritt ins Spital von den ärzten verschoben und das Engegefühl nahm zu. Gleichzeitig war es aber ein Aufschub, den wir dringend benötigten. Steffi unternahm noch einen Rieseneffort und räumte mit meiner Hilfe sein Haus, zog definitiv zu mir ins gemeinsame Haus und fand kurzfristig einen Mieter, was auch aus finanziellen Gründen ein wichtiger Schritt war. Denn die gesundheitlichen Probleme brachten auch enorme Existenzängste mit sich. Wertvoll waren natürlich auch die Gespräche mit Transplantierten und andern Erkrankten, die wir über die Stiftung oder durch Freunde kontaktierten. Es war ganz erstaunlich, wieviel Energie und Lebenswille in dieser Zeit vor der Transplantation frei wurde. Wir machten sogar noch wenige Wochen vor Spitaleintritt ein grosses Einweihungsfest in unserem Haus und durften erleben, wieviele Freunde uns auf diesem schwierigen Weg zur Seite standen. Wir mussten aber auch so unangenehme Dinge regeln wie Testament, Sterbeverfügung und die für mich schwierige Frage, ob ich als unverheiratete Partnerin im gemeinsamen Haus würde bleiben können, wenn er sterben würde. Es ist erstaunlich, wieviel ungeahnte Kräfte man entwickelt in solchen Herausforderungen!
Im Januar 04 war es dann soweit und Steffi trat auf die Isolierstation des Basler Kantonsspitals ein und musste sich an viele Dinge gewöhnen, die ganz und gar ungewöhnlich sind. Die Voruntersuchungen verliefen so rasch und effizient, dass er sogar am dritten Tag nochmals nachhausekam und ich ihn noch eine Nacht lang warm an meiner Seite spüren durfte. Es war in letzter Zeit schwierig geworden, die Tränen zu unterdrücken, aber ich liess die Traurigkeit in seiner Gegenwart selten zu und beide waren wir tapfer und optimistisch.
Nun, der Verlauf der Transplantation ist eine Geschichte für sich und soll hier weniger Thema sein als die Umstände, die uns positiv begleiteten. Es war sehr wichtig, dass meine Arbeitgeberin Verständnis hatte und mich über mehrere Wochen freistellte, sodass ich mich ganz auf Steffis Begleitung konzentrieren konnte. Ich war die einzige, die ihn täglich besuchte. Wegen der Infektionsgefahr hatten wir alle Besuche auf später, wenn er wieder zuhause sein würde, verschoben und nur seine Mutter kam zweimal während des Spitalmonats. Steffi war ein Vorbild in jeder Hinsicht, und für das Pflegeteam wohl auch eine neue Erfahrung an Lebensmut und Akzeptanz. Er schickte sich völlig in all die entsetzlichen Umstände, fühlte sich elend aber machte sich das Herz nicht wund durch existenzielle Sorgen. Sein Handörgeli war mit im Zimmer und erinnerte ihn täglich an sein Ziel, nämlich gesund zu werden. Nur das hier und heute bewältigen! Ich fertigte eine Tagesliste an mit Vormittag und Nachmittag und man konnte ein Häkchen machen, wenn der halbe Tag überstanden war. Es war ermutigend, immer mal wieder kleine Fortschritte zu würdigen und einfach zu hoffen und zu beten, dass die Schutzengel ihn behüten mögen. Sehr hilfreich war, dass Candy eines Tages, er war mitten in der schlimmen Phase, eine Frau aus der Selbsthilfegruppe vorbeischickte, die vor einem halben Jahr transplantiert worden war und zur Nachkontrolle ins Spital musste. Dieses Modell vor sich zu haben, Fragen stellen zu können, zu erleben, dass ein Mensch wieder heil und ganz sein kann nach diesem Eingriff, war ein Riesenaufsteller.
Ebenfalls sehr wichtig war das Umfeld, das wir aus Freunden und Familie hinter und um uns herum wussten. Ich mochte zwar kaum jemanden anrufen in dieser Zeit, aber Karten, Briefe und Nachfragen auf dem Telefonbeantworter trugen dazu bei, dass ich mich nie allein fühlte mit dieser Sorge um Steffis Leben. Zu wissen, dass meine Freundinnen auch mal eine Kerze anzündeten oder Fürbitte hielten, uns gute Gedanken schickten, war grossartig.
Nun, es gibt keine Gesundung ohne Wellentäler, ohne das Auf und Ab des Lebens selbst. Die vier Monate Quarantäne zuhause waren für Steffi, der ein sehr geselliger Typ ist, eine harte Prüfung. Und für mich, die sozusagen das Tor zur Aussenwelt war, damit. Die Energie und Disziplin, die es braucht, die schlaffen Muskeln wieder aufzubauen, jeden Tag zu spazieren an der frischen Luft, und doch keinem dabei zu nahe zu kommen, war sehr herausfordernd. Aber die Fortschritte liessen nicht lange auf sich warten, die Nachkontrollen wurden immer seltener und die Werte erholten sich zunehmend. Heute, dreiviertel Jahre nach der Stammzellentransplantation, können wir mit Klarheit sagen, dass sich das Risiko gelohnt hat. "Wer wagt, gewinnt" hat sich für uns bewahrheitet. Steffi arbeitet wieder, zwar reduziert und statt wie bisher alleine neu mit einer Hilfskraft, aber unentwegt und voller Begeisterung. Was vorher selbstverständlich war, ist heute ein kleines Wunder. Und wenn jemand über seine herzigen kleinen Locken streicht, die nach dem totalen Haarausfall herangewachsen sind, und ihn anerkennend fragt, wo er die denn her hat, sagt er scherzend: "Das kommt von meiner Frischzellenkur, die kann ich Dir nur empfehlen!"
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